Institut für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie und Provinzialrömische Archäologie
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Spätrömisches Kastell Praesentia (?)/Nag el-Hagar in Oberägypten

Bild 1:Kastell am Nil mit Säulenschäften eines Großbaus (Stabsgebäude?)Nach einer ersten kurzen, für das Swiss Institute of Architectural and Archaeological Research on Ancient Egypt, Cairo durchgeführten Dokumentationskampagne wurde 2006 ein Kooperationsprojekt zwischen dem Supreme Council of Antiquities, Inspectorate Aswan und dem Swiss Institute of Architectural and Archaeological Research on Ancient Egypt, Kairo gestartet. Die Projektleitung liegt in Händen von M. Mackensen (LMU) und M. El-Bialy (SCA Aswan). Das Schweizer. Institut (C. von Pilgrim) fördert die Unternehmung im administrativen und logistischen Bereich wesentlich und unterstützt den Bauforscher A. von Kienlin (TU München). Die ersten Kampagnen der Provinzialrömischen Archäologie wurden von der Gesellschaft der Freunde u. Förderer der LMU München (2005) und der Gerda Henkel Stiftung (2006, 2008, 2009) sowie der Eleonora Schamberger Stiftung (2008) finanziert. Vom 01.04.2011 bis 15.02.2014 wird das Projekt von der Eleonora Schamberger Stiftung gefördert.OW-Hauptstraße im Kastell, dahinter Palastanlage Ab 16.02. 2014 wird die abschließende Aufarbeitung und Auswertung des Projekts für 18 Monate mit einer wissenschaftl. Mitarbeiterstelle für Dr. Regina Franke durch die Gerda Henkel Stiftung (Düsseldorf) unterstützt.

 

Das spätrömische Kastell von Nag el-Hagar befindet sich unmittelbar am Ostufer des Nil, ca. 17 km südlich von Kom Ombo und 30 km nördlich von Aswan bzw. 45 km nördlich der Südgrenze der spätantiken Provinz Thebaïs, die ab 298 n. Chr. - nach Aufgabe der sog. Dodekaschoinos - auch die südliche Reichsgrenze bildete.

Das südwestliche Viertel des von 1984-1989 partiell freigelegten, 1,9 ha großen Kastells mit U-förmig vorspringenden Tor- und Zwischentürmen und quadratischen Ecktürmen wird durch eine für spätrömische Militäranlagen ungewöhnliche, ca. 35 x 50 m (0,175 ha) große Palastanlage mit mehreren apsidalen Räumen, einer zentralen dreischiffigenKastellosthälfte
Empfangshalle (aula) und zwei seitlich anschließenden Vierraumgruppen eingenommen. Für dieses palatium ist im 4. Jh. mit einer Nutzung durch hochgestellte Amts- und Würdenträger zu rechnen, vielleicht durch den militärischen Befehlshaber der Provinz (dux Thebaïdos).

Im Rahmen einer ersten Dokumentationskampagne wurde im Februar/März 2005 der Keramikbestand der vor ca. 25 Jahren durchgeführten Ausgrabungen gesichtet und mit der Zielsetzung dokumentiert, über die chronologisch empfindliche Feinkeramik (African Red Slip Ware & Egyptian Red Slip Ware A) bessere Anhaltspunkte für die Erbauung des Kastells im 4. Jh. und die Nutzungsdauer der Innenbebauung - auch nach dem vielleicht in der ersten Hälfte des 6. Jhs. erfolgten Abzug der Truppe - Kastellinnenfläche
zu erarbeiten. Der während der zweiten vierwöchigen Kampagne im Februar/März 2006 durchgeführte Keramiksurvey des Kastells und der angrenzenden Areale bestätigte die 2005 gewonnenen Ergebnisse. So ist nun aufgrund des Sigillataspektrums - und einer kleinen Münzreihe aus den Ausgrabungen 1985-89 - die Erbauung des Kastells um 300 oder im frühen 4. Jh. und eine Nutzung des Platzes als zivile Siedlung bis ins 7./ 8. Jh. wahrscheinlich.

Die Ergebnisse der geodätischen Vermessung des Geländes mit Erstellung eines Höhenschichtenplans und eines beleuchteten Geländemodells (M. Stephani, TU München) und insbesondere die geomagnetische Prospektion (J. Faßbinder, Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege München) erbrachten weitere Erkenntnisse speziell zu den Wehranlagen der Osthälfte des Kastells, für das auf der Süd- und Ostseite ein breiter Kastellgraben nachgewiesen werden konnte. Südosteckturm mit zugesetztem EingangIn ersten größeren Schnitten wurde die Kastellost- und -südmauer, der Südosteckturm und ein Zwischenturm an der Südmauer sowie die Innenbebauung in der Nähe und im Areal des vermuteten Stabsgebäudes untersucht.

Die Kampagnen 2008 und 2009 legten im Südostviertel des Kastells eine 14,0 x 32,5 m große Doppelbaracke mit zwei Reihen von jeweils acht gleichgroßen contubernien frei, sowie westlich und südlich davon die Reste weiterer Baracken. Im zentralen Bereich der Osthälfte wurden die Fundamente der principia aufgedeckt; sie besaß eine große (11,5 x 22,0 m) Halle (aedes) mit erhöhtem Ziegelpaviment. Südlich an die Halle schließt ein Komplex aus Verwaltungsräumen an.Geomagnetische Prospektion

Vom 06.02. bis 09.02. und vom 06.03. bis 17.03.2010 wurde im Depot des Antikendienstes (SCA) in Kom Ombo die Dokumentation und Aufarbeitung der Funde aus den bisherigen Ausgrabungskampagnen durchgeführt, vor allem die Bearbeitung der ostraca, der Münzen und der Keramik. Die in den Ausgrabungen seit 2006 neugefundenen Münzen bestätigen die bisherigen Ergebnisse zur tetrarchischen Datierung des Kastells, während die Auswertung der ostraca Hinweise geben könnte auf die Existenz einer kleinen monastischen Gemeinschaft innerhalb der zivilen Siedlung, die sich nach dem Abzug der Soldaten im Bereich des ehemaligen Militärlagers ausbreitete.

nh_principiaIm Frühjahr 2011 konzentrierte sich die Ausgrabungskampagne auf den rückwärtigen zentralen Bereich mit dem Stabsgebäude. Vom Haupttor, der zum Nil hin orientierten porta praetoria, führt die via praetoria entlang der Lagerhauptachse direkt auf die Mittalachse der principia zu. Der Eingangsbereich in das Stabsgebäude war durch Steinraub stark gestört, es konnte aber ein 5 m breites und noch 1,75 m tiefes Treppenfundament aus gebrannten Ziegeln dokumentiert werden. Treppenstufen aus großen Sandstein­blöcken, von denen nur noch die nordwestliche Ecke der untersten Stufe erhalten war, führten in einen erhöht gelegenen, 10,60 m x 7,85 m großen Vorraum. Dahinter lag der 10,60 x 9,90 m große Hauptraum, in dessen Ecken im 45°-Winkel zu den Wänden stehende Mauern eingebaut waren, wodurch er eine repräsentative, oktogonale Ausgestaltung erhielt. Vermutlich handelte es sich um das aedes principiorum, das zentrale Fahnenheiligtum des Lagers.

In den Frühjahrskampagnen 2012 und 2013 wurden das Stabsgebäude und die südlich daran anschließenden Gebäude vollständig freigelegt. Zu den wichtigsten Funden dieser beiden grube2012Kampagnen gehören mehrere Gruben, von denen einige stratigraphisch dem Bauhorizont des Kastells zuzurechnen sind; zwei andere Gruben lassen sich anhand von Münzen in die Mitte des 4. Jhs. datieren. Diese Gruben enthielten fast vollständig erhaltene oder ergänzbare Keramikgefäße (vor allem Vorratsgefäße, aber auch Tafelgeschirr), Glasgefäße und einige Kleinfunde. Neben der schon 2008/09 flächig freigelegten Doppelbaracke wurden in einem größeren Bereich südlich und westlich des Stabsgebäudes Teile der Fundamente von drei weiteren Doppelbaracken aufgedeckt, so dass die Belegung im Südostviertel des Kastells nun zuverlässig rekonstruiert werden kann. Mit dem Ende der Frühjahrskampagne 2013 wurden die Ausgrabungen in Nag el-Hagar vorläufig abgeschlossen; die Ergebnisse der Kampagnen seit Beginn des Projekts 2005 werden nun zur Publikation vorbereitet.

Bild 1: Kastell am Nil mit Säulenschäften eines Großbaus (Stabsgebäude?)
Bild 2: OW-Hauptstraße im Kastell, dahinter Palastanlage
Bild 3: Kastellosthälfte
Bild 4: Kastellinnenfläche
Bild 5: Südosteckturm mit zugesetztem Eingang
Bild 6: Fundamentreste einer Mannschaftsunterkunft 
Bild 7: Blick über das Stabsgebäude zur porta praetoria im Westen
Bild 8: Profil durch Abfallgrube nordöstlich der Kreuzung der beiden Lagerhauptstrassen 


Literatur:

  • R. Franke, The Tetrarchic Fort at Nag’al-Hagar (Upper Egypt) – Excavations in 2005 to 2012. In: L. Vagalinski/N. Sharankov, LIMES XXII. Proceedings of the 22nd International Congress of Roman Frontier Studies Ruse, Bulgaria, September 2012 (Sofia 2015) 369–375.
  • R. Franke, The headquarters building in the tetrarchic fort at Nag'al-Hagar (Upper Egypt). Journal of Roman Archaeology 26, 2013, 456-463.
  • M. Mackensen, in cooperation with M. El-Bialy,  The Late Roman Fort at Nag al-Hagar near Kom Ombo (Upper Egypt). Report on the Fourth Season of the Egyptian-Swiss Joint Mission. In: D. Raue/St. J. Seidlmayer/Ph. Speiser (Hrsg.), The First Cataract of the Nile. One Region – Diverse Perspectives. Sonderschr. DAI Kairo 36 (Berlin 2013) 111–121.
  • R. Franke, Demonstration kaiserlicher Macht am Nil - Das spätrömische Kastell Nag'al-Hagar bei Kom Ombo in Oberägypten. Antike Welt 5, 2012, 57-65.
  • M. Mackensen/M. El-Bialy, Fourth report of the Egyptian-Swiss Joint Mission at the Late Roman Fort at Nağ'al-Hağar near Kom Ombo (Upper Egypt). Annales du Service des Antiquités de l'Égypte 84, 2010 (2012), 243-258.
  • M. Mackensen/R. Franke, Eine Mannschaftsunterkunft im tetrarchischen Kastell Nag al-Hagar bei Kom Ombo (Oberägypten). In: Chr. Ebnöther/R. Schatzmann (Hrsg.), Oleum non perdidit. Festschrift für Stefanie Martin-Kilcher zu ihrem 65. Geburtstag. Antiqua 47 (Basel 2010) 81–94.
  • M. Mackensen, The Tetrarchic fort at Nag al-Hagar in the province of Thebaïs: preliminary report (2005-8). Journal of Roman Archaeology 22, 2009, 286-311.
  • M. Sieler, Egyptian red slip ware A and its production at the site of the late Roman fort at Nag el-Hagar/Upper Egypt. Rei Cretariae Romanae Acta 40, 2008, 271-278.
  • M. Mackensen (zus. mit M. El-Bialy), Report on the second season of the Egyptian-Swiss Joint Mission at the Late Roman Fort at Nag el- Hagar (Upper Egypt). Annales du Service des Antiquités de l'Égypte 81, 2007, 39-51.
  • M. Mackensen, in cooperation with M. El-Bialy, with contributions by A. v. Kienlin/H.-C. Noeske/F. Schimmer/B. Seeberger/M. Sieler, The Late Roman Fort at Nag el-Hagar near Kom Ombo in the province of Thebaïs (Upper Egypt). Report on the first season of the Egyptian-Swiss Joint Mission. Mitt. DAI Kairo 62, 2006 (2007) 161-195.
  • M. Mackensen, Late Roman African red slip ware from the frontier region in the province of Thebais (Upper Egypt). In: R.J.A. Wilson (Hrsg.),Romanitas. Essays on Roman Archaeology in Honour of Sheppard Frere on the Occasion of his Ninetieth Birthday (Oxford 2006) 211-229.
  • M. El-Bialy/M. Mackensen with contributions by J. Fassbinder/A. von Kienlin/M. Stephani, Second Report of the Egyptian-Swiss Joint Mission at the Late Roman Fort at Nag el-Hagar (Upper Egypt). Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 81, 2007, 39-51.
  • M. ed-D. Mustafa/H. Jaritz, A Roman fortress at Nag‛ el-Hagar. First preliminary report. Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 70, 1984-85 (1985) 21-31
  • U.A. Wareth/P. Zignani, Nag al-Hagar, a Fortress with a Palace of the Late Roman Empire. Second preliminary report. Bull. Institut franç. d‘archéologie orientale 92, 1992, 185-210.

 

Kooperation mit dem Schweizerischen Institut für Ägyptische Bauforschung und Altertumskunde (Kairo) und dem Supreme Council of Antiquities, Inspectorate Aswan